2003-09-20 \ 23h - 23h30min \ düsseldorf \ fft kammerspiele \ backstage bei den herr nilssons \ [ina knopfe]

Freies Theater. Hermetische Garderobenzelle der Rockstars.
Das Konzert ist gerade vorbei. Zwei der X- treffen auf vier der XY-Gattung.
Begrüßung, Glückwünsche, Autogrammkarten.
Man kennt sich.
Das Klima befindet sich im Interim: vor wenigen Minuten noch im Begeisterungshoch, schleichen sich nach und nach Ausläufer cooler After-Show-Attitüden ein.
Man sieht sich an, lächelt verlegen über das Ausbleiben verbindender Gedanken.
Das Auge der Wortlosigkeit zentriert sich zunehmend im Raum.

Doch dann beginnt es. Ganz leise. Zu Beginn nimmt man es nur beiläufig wahr.
Man kann es noch nicht orten.
Der Blick der vier XY gleitet langsam über den Tisch, an den Wänden entlang zur Decke, vom Boden in jede Zimmerecke, bis er sich auf die gelassenen Augen der X einpendelt. Man sieht es, die Frage durchschießt ihre vier Köpfe gleichzeitig:
haben die X sie eingeschleust?

Doch es ist bereits zu spät. Jetzt kann man sie auch sehen. Sie kommen aus allen Raumecken. Das Weiß der Wände, der Decke verändert sich nur um eine Nuance:
in Schneeweiß - in vibrierendes Schneeweiß! Sogar der Boden scheint sich weiß zu entmaterialisieren. Jeden Augenblick können Stühle und Tisch versinken. Der Geräuschpegel ist proportional gestiegen.
Die vier XY können das Rauschen kaum mehr ertragen, krümmen sich und versuchen ihre schweißnassen Ohren zu schützen.
Nur die beiden X sitzen eisig still, tauschen einen einvernehmenden Blick und beschließen ihn mit einem unmerklichen Nicken. Dann fokussieren sie den Apparat, der wie von unsichtbarer Hand auf dem Tisch platziert ist.
Panisch starren die XY auf das Bildschirmschwarz. Doch das Schwarz währt nur kurz. An der unteren linken Bildschirmecke kriechen sie hinein, schichten sich ziegelartig, Reihe für Reihe übereinander.

X und X stehen ruhig auf und gehen Richtung Tür, die jetzt wieder sichtbar ist.
Für sie ist die Sache beendet.

Der Bildschirm füllt sich wie ein sinkendes Schiff. Die vier vermögen nicht, Ihren Blick zu lösen. Die Frequenz nimmt zu. Mit der Macht des Rauschens beherrscht auch das Flimmern die vier. Die Pupillen überschlagen sich fast, durch die Adern fließt lähmender Strom, auf der Haut tausendfacher Schmerz.
Wie von ... Ameisen?
Der Apparat bläht sich auf, verformt sich. Einer versucht den Netzstecker zu ziehen, die digitale Kette zu durchbrechen.
Aber es gibt keinen. Nichts.
Das Kollabieren der Körper nur eine Frage von Sekunden. In Gedanken zählt der Countdown ....

Stille.

Die vier fallen aus ihrer Verkrampfung zu Boden.
Ihr Puls beendet auslaufend das 100 m Rennen.
Der Apparat steht noch dort, schwarz und lautlos, wie seit Jahren außer Betrieb.
Der eine sucht wiederholt den Netzstecker, die digitale Arterie.
Ein anderer fragt nur Akku? Analog? ...
Ihnen ist jetzt klar, warum sie noch immer sind.
Und vielleicht war es auch ihre Musik, auch analog?
Keine Einspeisung vom Mainstream ...?
Ihr neuer Song? ... "Schneeameisen".

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