2004-03-13 \ nachts \ berlin-fhain \ kopernikusstr. \ luxomat.tv \ [klaf nnamdron]

ameisen inkognito II ameisen inkognito II

ameisen inkognito II

tagsüber rollladenlid verbrettert: eingang und schaufenster.
Plastikrollläden - wohl handelsübliches grau - taubenkotpatiniert und taglichtgebleicht, da diese läden meist von 6.00 h früh bis 18.00 h abends den zugang und den einblick verwehren.

Ab dem frühen abend dann: lid auf, in den rotorang belichteten hip-club sickert spät-mittel- und frühjuvenile feierabendregsamkeit...

Nein, feierabend ist ruhrgebiet oder das berlin der 50/60er jahre, auch noch der peter alexander der mittigen 70er...

Partystimmung ist das auch nicht, party wurzelt im prösterchenprollgürtel der 80er und verrubbelt sich dann in den 90ern durch 30.000bpm liebesparadenfitness zum alltagsdauerbeschäftigungsinterim...

Jetzt, 2004:
eine kleine, nebensächliche utopie: mag sein, daß sich die popbewußtseinsindustrie noch in der dezennienbemaßung des letzten viertels des letzten jahrhunderts verwirrt, mag sein, daß unsere gegenwartswahrnehmung tatsächlich kurzfristig ge-nullt wurde: aber da niemand glaubhaft von den "nullern" oder den "10ern" spricht, entkrampft sich vielleicht auch für kurze zeit die bedeutsamkeitsfixierung und die stilwut; wer also abends in eine lokalität geht, um die ortsüblichen konsumrituale zu zelebrieren, kann eben einfach nur schlicht trinken, reden, sich einräuchern lassen und nebenbei diverse paarungsoptionen virtuell durchleben - auch wenn diese exercitien des sozialen in ambitioniert lässigem wohnzimmerscheinretrochic unter orangroter beleuchtung durchgeführt werden.

Das umfeld ist möglicherweise sowieso nur noch unter beleuchtungstechnischen aspekten wichtig und relevant allenfalls für die frage, wieviel make-up die lichtsituation verlangt.
Merke: erst nonchalantes ignorieren alltagsbedingter hautunreinheiten verrät großstadtsouveränität.

Zurück zum konkreten, zurück zu dem kleinen club namenlos
(denn kneipe heisst gelegentlich club und das bier wird hier und da auch caipirinia genannt) in der kopernikusstrasse in berlin/friedrichshain.

Hier nach dem aufrollen der tagesabdeckung im showfenster: zwei fernsehgeräte in anerkannter familienlebensgröße, einblick strassenseitig: das programm: seit anbeginn des mediums und seit den frühen tagen der entwicklung der geräte eine kontinuierliche erfolgssendung: die schneeameisenschau!!

Auch hier wäre natürlich ein kulturverfall zu konstatieren: bis in die 80er jahre (um bei einer leicht antiquierten zeitverortung zu bleiben) des letzten jahrhunderts speziell in deutschland bei im prinzip nur drei!! programatisch strukturierten ausstrahlungssträngen nahm die schneeameisenschau noch den ihr gebührenden löwenanteil der sendezeit ein. Großelterngenerationen könnten noch von den einschlaferfahrungen bei kosmischem geräterauschen berichten, wären diese generationen nicht längst auch als rentable werbezielgruppen aus optionsfreien defokussierungsfeldern in den konkreten habitus von quotennormerfüllern und dauerdurchguckern im tv-zappinghamsterrad versetzt worden.

Feierabend (alsodoch!) 2004, also: den-abend-feiern (feiern im profanen sinn: nicht der kult oder die orgie sind hier gemeint; eher ein heraus-eiern aus alltagsverbindlichkeit. Hier wäre die etymologie gefragt, eine präzise neubewertung und ableitung des wortes zu setzten) heisst: die geräteverbindlichkeit mit freundlich-historischer schneeameisenschausäure auflösen - in ostberlin in stereo; dadurch wird die ernsthaftigkeit des unternehmens unterstrichen (das wussten schon mondrian und warhol).

Während also im club namenlos geräkelt, gemunkelt und getrunken wird, strahlt in den ostberliner vorfrühlingsabend die wirklichkeit aller elektrokommunikation: das rauschen, das eher rascheln ist, eine vibration, die sich vermutlich ganz im gerät erfüllt?: denn das ist doch die frage: ist die konkret gesehene schneeameisenschau ein ausschnitt aus größtem gewimmel - so, wie das fernsehstudiobild nur den, mittlerweile zusätzlich digital hochgedröhnten, bildausschnitt aus sperrholzplattenpampe zeigt - oder ist die schneeameisenschau die konkrete bildschirmwirklichkeit jenseits allen sendens und empfangens, ein hier und jetzt, wie es sich die ein oder andere avantgarde auch schon pinselnd und grübelnd wünschte?